Projekt des Monats Juli 2025

Schönheitsfehler im Reifeprozess: Kristallbildung bei Rohschinken verstehen und vermeiden

Der aus vielen kleinen Kristallen bestehende weißliche Belag bei Rohschinken kann zu Reklamationen führen.
Während weiße Kristalle in Rohschinken in südlichen Ländern als Zeichen traditioneller Reifung gelten, sorgen sie hierzulande häufig für Verunsicherung. Verbraucherinnen und Verbraucher interpretieren die Beläge an der Oberfläche oder Kristalle im Inneren oft als Hinweis auf Verderb oder mangelhafte Qualität. Die Folgen: Reklamationen, Vertrauensverlust und ein wirtschaftlicher Schaden für die Hersteller, deren Produkte im ungünstigsten Falle gar entsorgt werden müssen. Dabei handelt es sich bei diesen Ausfällungen nicht um mikrobiologische Kontaminationen, sondern um natürlich entstandene Kristalle – deren Entstehungs-mechanismen bisher jedoch nur unzureichend erforscht sind.

Ob handwerklich oder industriell hergestellt: Die feste Textur, das ausgeprägte Aroma und die charakteristische rote Farbe von Rohschinken entstehen durch ein Zusammenspiel aus Pökeln, Trocknung, Reifung und – optional – Räucherung. Während dieses mehrwöchigen Prozesses wird dem Fleisch Wasser entzogen und die Haltbarkeit durch erhöhten Salzgehalt gesichert. Dieser Wasserentzug kann auch zu einer Übersättigung des im Produkt enthaltenen Restwassers führen. So ist bereits bekannt, dass die Aminosäure Tyrosin freigesetzt wird und auskristallisiert – entweder im Gewebe oder sichtbar an der Oberfläche. Je nach Lage verändern die Kristalle das Mundgefühl oder führen zu einer optischen Beeinträchtigung.

Im Bild sind neben dem weißlichen Belag verschiedene punktuelle Kristalle zu erkennen, die in südlichen Ländern akzeptiert werden.
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Das Problem für die Hersteller: Die Entstehung dieser Kristalle erfolgt nicht unmittelbar, sondern zumeist erst während der Lagerung oder im Handel – also lange nach der eigentlichen Produktion. Bisherige Versuche, über Anpassungen bei Temperatur, Feuchtigkeit oder Reifezeit gegenzusteuern, blieben weitgehend wirkungslos. Auch die Frage, warum sich die Kristalle unter bestimmten Bedingungen bevorzugt im Inneren oder an der Oberfläche bilden, ist bislang ungeklärt.

Ein Fall für die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF)! Im Rahmen eines IGF-Projekts des FEI untersuchen derzeit zwei Forschungsteams des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück und der Universität Hohenheim die genauen Ursachen und Einflussfaktoren dieser Kristallbildung. Warum findet die Ausfällung primär an der Oberfläche und innerhalb des Muskelgewebes statt? Nach welchem Zeitraum bilden sich Kristalle? Welche Komponenten – neben der Aminosäure Tyrosin – sind vor allem daran beteiligt? Ziel der Untersuchungen ist es, diese Fragen zu beantworten, die komplexen Vorgänge während Trocknung, Reifung und Lagerung zu verstehen und daraus praxisnahe Strategien zur Vermeidung der unerwünschten Kristalle zu entwickeln. Durch gezielte Analysen wollen die Forschenden klären, unter welchen Bedingungen sich Kristalle im Gewebe oder auf der Oberfläche ablagern und welche Produkt- und Prozessparameter diesen Verlauf begünstigen oder hemmen.

Die Relevanz ist groß: Etwa 2 - 3 Prozent der produzierten Rohschinken weisen regelmäßig sichtbare Beläge auf – ein scheinbar kleiner Anteil, der jedoch bei hochpreisigen Produkten mit aufwändiger Herstellung gravierende wirtschaftliche Folgen haben kann. Davon betroffen ist zudem nicht nur Rohschinken, sondern auch Rindfleischprodukte wie Bündner Fleisch oder Beef Jerky. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in diesem Segment häufig tätig sind, können Reklamationen schnell existenzbedrohend werden – auch, weil die Ursachen bisher kaum beeinflussbar waren.

Mit einem Jahresumsatz von über 49 Milliarden Euro in 2024 zählt die Fleischverarbeitung zu den bedeutendsten Sektoren der deutschen Ernährungswirtschaft. Rohschinken erfreut sich in Deutschland großer Beliebtheit: Rund 2 Kilogramm im Jahr werden in Deutschland pro Kopf verzehrt – Tendenz steigend. Umso wichtiger ist es, das Vertrauen in die Produktqualität dauerhaft zu sichern. Das IGF-Vorhaben kann hier durch fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse und durch konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis einen wichtigen Beitrag leisten.


Informationen zum IGF-Projekt 01IF22843N "Untersuchung zur Bildung und Vermeidung von Präzipitaten auf und in Rohschinken"



... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)
Förderhinweis


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