Im Trend der Zeit: Forscher entdecken Enzym zur effizienteren Herstellung von lactosefreien Milchprodukten

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Lactoseintoleranz betrifft viele erwachsene Menschen: Sie vertragen den Milchzucker, die Lactose, nicht, die in vielen Milchprodukten in unterschiedlichen Konzentrationen enthalten ist. Eine der Ursachen ist, dass Menschen mit zunehmendem Alter immer weniger Lactase bilden – jenes Enzym, das die Lactose durch Hydrolyse in die verdaulichen Einfachzucker Glucose und Galactose aufspaltet und bei Neugeborenen für die Verdauung von Muttermilch hochaktiv und essentiell ist. Während die Milchzuckerunverträglichkeit in Asien und Afrika ein Normalzustand ist und rund 90 % der Bevölkerung betrifft, nimmt sie in Westeuropa in der Tendenz zu; in Deutschland vertragen nach Schätzungen etwa 15 % der Gesamtbevölkerung keinen Milchzucker.
Wer lactoseintolerant ist, leidet nach dem Genuss von Milchprodukten unter Verdauungsbeschwerden: Magen-Darm-Krämpfe und Blähungen gehören zur typischen Symptomatik. Doch auch Verbraucher, die Lactose weiterhin verdauen können, bevorzugen in den letzten Jahren zunehmend mehr jene Milchprodukte, die weniger oder keine Lactose enthalten: Das liegt im Trend.

  • Geeignetes Enzym gesucht


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    Um diese Milchprodukte herzustellen und auch die positiven Eigenschaften von Glucose und Galactose nutzen zu können, bedarf es geeigneter Enzyme für die Lactose-Hydrolyse: Beta-Galactosidasen heißen die mikrobiell hergestellten Varianten des menschlichen Enzyms Lactase. In der Literatur sind eine Vielzahl dieser Galactosidasen beschrieben, doch der Industrie standen bislang nur wenige Enzympräparate zur Verfügung – und diese verfügen über gravierende Nachteile:
    • sie sind bei niedrigen Temperaturen unter 10 °C träge, so dass sie nur bei Einsatz von hohen Mengen ans Arbeiten kommen. Eine niedrige Prozesstemperatur ist aufgrund der mikrobiellen und sensorischen Empfindlichkeit von Milch zwingend notwendig;
    • sie werden durch die entstehenden Monosaccharide, insbesondere Galactose, gehemmt und dadurch noch langsamer;
    • sie beinhalten Nebenaktivitäten, welche u.a. Bitterstoffe produzieren können, was zu einem Fehlgeschmack führen kann;
    • sie arbeiten überwiegend bei einem pH-Wert von 6,0 bis 7,5
    – und können daher nicht in sauren Milchprodukten eingesetzt werden.

  • Ideal für IGF-Projekt


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    Vor diesem Hintergrund wurde ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung initiiert, das von Forschern der Universität Hohenheim bearbeitet wurde. Gesucht wurden Beta-Galactosidasen, die effizienter, bei niedrigeren Temperaturen und auch im sauren Milieu arbeiten, nicht durch Galactose gehemmt werden und keine Bitterstoffe produzieren – eine Voraussetzung zur Entwicklung und effizienteren Herstellung neuer und höherwertiger, lactosefreier Milch- und Molkeprodukte.

  • Kandidatensuche


    Um dies zu erreichen, machten sich die Forscher in Metagenom-Bibliotheken und Stammsammlungen auf die systematische Suche nach den perfekten Kandidaten: Nach Definition der Zielparameter wurden mit der entwickelten Screeningstrategie 354 Metagenom-Beta-Galactosidasen untersucht.
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    Nach ausführlicher Untersuchung wurden die vielversprechendsten Kandidaten zur Lactose-Hydrolyse in Milch bei 8 °C eingesetzt und hinsichtlich verschiedener weiterer Parameter wie Aktivität und pH-Wert untersucht. Eine Beta-Galactosidase (3J_33) erwies sich bezüglich der Hydrolyse-Eigenschaften deutlich besser als das bisherige Referenzpräparat aus der Industrie. Dieses Enzym wurde im 35-L-Arbeitsvolumen rekombinant exprimiert, mittels Ammoniumsulfat-Fällung gereinigt und für weitere Hydrolysen mit höherer Aktivität in Milch und Molkefraktionen eingesetzt.
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    Die Beta-Galactosidase erreichte es, bei 8 °C den Lactosegehalt in Milch auf 0,11 g/L zu reduzieren. Durch die Erhöhung der Temperatur, wie sie im Rahmen der Pasteurisation stattfindet, konnte der Lactosegehalt dann auf unterhalb der Nachweisgrenze gesenkt werden. Niedrige Temperaturen, kurze Verweilzeiten, keine unerwünschten Nebenprodukte – das sind nur einige der Vorteile.

  • Zielgruppe KMU


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    Die neue Beta-Galactosidase aus dem Metagenom, die durch dieses Projekt erstmalig zur Verfügung steht, eignet sich daher bedeutend besser für eine vollständige Lactose-Hydrolyse in Milchprodukten als bisher bekannte Enzympräparate. Zielgruppe sind hauptsächlich kleine und mittelständische Unternehmen der milchverarbeitenden Industrie, die damit neue lactosefreie Milch- und Molkeprodukte sowohl für den Verbraucher als auch für die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie bereitstellen können. Außerdem können durch die neue Beta-Galactosidase die Prozesskosten zur Herstellung lactosefreier Produkte deutlich gesenkt werden.
    Auch könnte die Steigerung der Süßkraft bei konstantem Kohlenhydratanteil durch die enzymatische Lactose-Hydrolyse bestimmter Milchprodukte ausgelobt und speziell eworben werden. Und zwar in dem Sinne, dass in lactose-hydrolysierten Milchprodukten bei unveränderter Menge an Kohlenhydraten eine vergleichsweise höhere Süße erzeugt wird. Dadurch könnte beispielsweise die Zugabemenge an Kristallzucker oder Glucosesirup bei ohnehin gesüßten Milchprodukten reduziert werden, was insgesamt zu einem niedrigerem Kaloriengehalt des Endprodukts führt.
    Der Jahresumsatz der deutschen Milch industrie beträgt ca. 21 Mrd. Euro; ca. 5 % dieses Umsatzes wird bisher durch den Absatz von lactosefreier Milch bzw. lactosefreien Milchprodukten erwirtschaftet – in diesem Bereich ist jedoch ein hohes Wachstumspotential zu erwarten. Die deutsche Molkereiwirtschaft ist mittelständisch organisiert und beschäftigt ca. 30.000 Mitarbeiter. Besonders kleinere, spezialisierte Unternehmen können durch den Einsatz des neuen Enzympräparates ihre Wertschöpfung erhöhen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.



  • Projektbeteiligte






Forschungsvorhaben AiF 15801 N "Screening und Bereitstellung neuer, industrietauglicher Beta-Galactosidasen für die Milchindustrie"

... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)


Förderhinweis