Den Noroviren Dampf gemacht! Kaltvernebeltes Wasserstoffperoxid sorgt für mehr Sicherheit von Obst und Gemüse


Noroviren sind wahre Überlebenskünstler: Sie überstehen Tiefkühltemperaturen von bis zu -150 °C und auch längere Backprozesse bei 200 °C. Auch außerhalb ihres Wirtes – auf Türklinken, Küchen-Arbeitsflächen oder Lebensmitteln – können sie länger als eine Woche überdauern. Die weltweit vorkommenden Erreger können beim Menschen akute Magen-Darm-Erkrankungen und aufgrund ihrer hohen Infektiosität und Stabilität gegenüber Umwelteinflüssen größere Ausbrüche auslösen.

  • Häufige Quelle: Obst und Gemüse


    Schätzungen zufolge sind zwischen 20 und 40 % aller Norovirus-Erkrankungen auf kontaminierte Lebensmittel – vor allem unverarbeitetes oder tiefgekühltes Obst und Gemüse – zurückzuführen. So auch im Herbst 2012, als es zu dem bis dahin größten lebensmittelbedingten Krankheitsausbruch in Deutschland kam: Mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche in Ostdeutschland erkrankten nach dem Verzehr von Erdbeeren an Brechdurchfall; die importierten Tiefkühl-Erdbeeren waren mit dem humanen Norovirus (hNV) kontaminiert. Im Jahr 2018 wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) 77.583 Norovirus-Erkrankungen übermittelt; 25 davon verliefen tödlich (nur laborbestätigte Erkrankungen; tatsächliche Fallzahlen werden deutlich höher geschätzt; Quelle: Infektions­epidemiologisches Jahrbuch für 2018 des RKI).


    „Die Sicherheit unserer Produkte steht für uns an erster Stelle!
    Welche Präventionsmaßnahmen stehen uns zur Verfügung? Besonders bei Noroviren sind unsere Mittel momentan noch begrenzt: Daher setzen wir unsere Hoffnungen auf neue Techniken wie die Kaltvernebelung mit Wasserstoffperoxid, die die Qualität unserer Produkte nicht beeinträchtigt und die Sicherheit erhöht – die Forschungsergebnisse sind vielversprechend!“

    Dr. Nadine Winkelmann, Qualitätsmanagerin bei der Winkelmann GmbH & Co. KG in Rahden und Mitglied der Projektbegleitenden Ausschüsse von AiF 18802 N und des in Vorbereitung stehenden Folgeprojektes
  • Vorbeugender Verbraucherschutz


    Viele Fragen bezüglich der Kontaminationsquellen, der Nachweisverfahren und der Präventionsmaßnahmen sind noch offen; eine vordringliche darunter ist: Wie können Unternehmen, die Obst und Gemüse produzieren und verarbeiten, gezielt Noroviren auf ihren Produkten inaktivieren – und damit Wiederholungen von Ausbrüchen vorbeugen bzw. die durch Lebensmittel verursachten Norovirus-Erkrankungen deutlich reduzieren? An einer innovativen Möglichkeit haben Forscherinnen und Forscher der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe intensiv geforscht: Im Rahmen eines Projektes der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) untersuchten sie, ob und inwieweit Noroviren auf kontaminiertem Obst und Gemüse durch kaltvernebeltes Wasserstoffperoxid (H2O2) inaktiviert werden können. H2O2 ist ein stark oxidatives, antimikrobiell wirkendes Mittel, das bereits zur Entkeimung von Oberflächen und zur Desinfektion von Verpackungen verwendet wird. Ein besonderer Vorteil ist, dass H2O2 schnell in Wasser und Sauerstoff zerfällt. Auch als Zusatz in Waschbädern bei der Nacherntebehandlung von Obst und Gemüse wird es eingesetzt; Waschbäder eignen sich jedoch nicht für wasser- und druckempfindliche Produkte wie Erdbeeren oder Himbeeren.
  • Nebel gegen Norovirus


    Vor diesem Hintergrund wurde ein für die Dekontamination von Lebensmitteln völlig neues Verfahren eingesetzt, das bisher vor allem zur Raumdesinfektion – u. a. in Krankenhäusern oder Tierställen – angewandt wurde: Die Kaltvernebelung von Wasserstoffperoxid. Dabei wird eine H2O2-Lösung bei Raumtemperatur mittels Druck über spezielle Düsen in sehr feine Dämpfe (Mikroaerosole) überführt, ohne dass Kondensat entsteht.

    Können Noroviren auf Obst und Gemüse zuverlässig mit kaltvernebeltem Wasserstoffperoxid inaktiviert werden?
    Versuchsanlage im Labormaßstab: Hier wird den Noroviren Dampf gemacht.
    Um dies zu beantworten, wurden im Rahmen der Untersuchungen zwei verschiedene Vernebelungsanlagen verwendet: In diesen wurden Äpfel, Heidelbeeren, Gurken, Erdbeeren und Himbeeren, also Produkte mit unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten, über 60 Minuten mit H2O2 behandelt, die zuvor mit murinem Norovirus (MNV) als Modellvirus kontaminiert worden waren. Neben der Reduktion des Norovirus wurden auch sensorische Veränderungen des Obstes und Gemüses durch die Behandlung untersucht. Um zu klären, ob in behandelten Produkten ein höherer H2O2-Gehalt gegenüber unbehandelten Produkten nachgewiesen werden kann, wurden Rückstandsanalysen durchgeführt. Zudem wurde die antioxidative Kapazität behandelter und unbehandelter Früchte bestimmt, um einen Einfluss auf wertgebende Inhaltsstoffe wie Polyphenole zu erfassen.

  • Entscheidend: Die Oberfläche


    Mit Noroviren kontaminierte Äpfel, Gurken sowie Heidel- und Erdbeeren in einer Versuchsanordnung auf Multiwell-Platten.
    Die Frage, ob Noroviren auf Obst und Gemüse zuverlässig mit kaltvernebeltem Wasserstoffperoxid inaktiviert werden können, lässt sich nach Abschluss der Untersuchungen bejahen – in Abhängigkeit von der Oberfläche: Auf glatten Oberflächen (Edelstahl, Äpfeln und Heidelbeeren) wurden murine Noroviren durch die Kaltvernebelung von H2O2 über 60 min zuverlässig inaktiviert (Reduktion um 4 log10); auf rauen Oberflächen ist die Reduktionsrate geringer. Zwar zeigten sich auch auf Gurken und Erdbeeren teils gute Reduktionsergebnisse, die jedoch insbesondere auf Erdbeeren nicht zuverlässig reproduziert werden konnten. Äpfel, Heidelbeeren, Gurken und Erdbeeren zeigten keine sensorischen Veränderungen durch eine 60-minütige H2O2-Behandlung mit kaltvernebeltem H2O2, während sich bei der Dreiecksprüfung von behandelten Himbeeren Unterschiede zu unbehandelten Früchten zeigten. Rückstände von H2O2 auf den behandelten Produkten konnten nicht nachgewiesen werden. Auch die antioxidative Kapazität der Produkte blieb nach der H2O2-Kaltvernebelung erhalten. Um zu prüfen, ob eine verlängerte Kontaktzeit die Inaktivierung von Noroviren erhöht, wurden zusätzlich Gurken und Erdbeeren für 240 min behandelt – dadurch erhöhte sich die Reduktionsrate auf Gurken auf 3,6 log10. Bei der Behandlung von Erdbeeren zeigten sich wiederum stark differierende Reduktionsraten. Sensorisch zeigten Gurken und Erdbeeren jedoch nach einer 240-minütigen 2O2-Behandlung Veränderungen.
  • Hoher Bedarf in der Praxis


    Die Wirksamkeit der H2O2-Kaltvernebelung konnte mit den Untersuchungen erstmalig bestätigt werden – von dem innovativen Verfahren werden Obst- und Gemüseproduzenten, Händler und verarbeitende Betriebe – auch in der Gastronomie – profitieren können. Bevor sich das Verfahren breitflächig einsetzen lässt, müssen jedoch noch höhere Inaktivierungsraten auch auf Produkten mit rauer Oberfläche erzielt werden. Das ist bereits in Vorbereitung: Im Rahmen eines Folgeprojektes in Kooperation mit der Universität Leipzig soll untersucht werden, ob durch eine kombinierte Anwendung ausgewählter chemischer und physikalischer Verfahren Noroviren auf Beerenobst zuverlässig inaktiviert werden können. Ein Projekt, für den ein hoher Bedarf besteht: Allein 2017 wurden in Deutschland über 151.000 Tonnen Erdbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren produziert und verarbeitet sowie 137.000 Tonnen aus weltweiter Erzeugung importiert.


    „Vom obstanbauenden Kleinbetrieb bis zum großen Verarbeiter: Alle Unternehmen des breit aufgestellten Projektausschusses sind an einer praktikablen Lösung interessiert – und ziehen an einem Strang, um eine hohe Produktsicherheit gewährleisten zu können! Auf Produkten mit glatten Oberflächen wie Heidelbeeren, Äpfeln und Gurken funktioniert das Verfahren bereits.
    Die sichere Inaktivierung von Norovirus auf Produkten mit rauen Oberflächen wie Erdbeeren gehen wir im nächsten Projekt an.“

    Jürgen Ahlers, Leiter Qualitätswesen & Produktentwicklung bei der Conditorei Coppenrath & Wiese KG in Mettingen und Koordinator von AiF 18802 N und des in Vorbereitung stehenden Folgeprojektes
  • Projektbeteiligte


    Forschungsstelle:

    Industriegruppe:

(Stand: Februar 2020)

Forschungsvorhaben