Preisträger 2005: Fingerabdruck überführt Mikroben: Identifizierung von schädlichen Mikroorganismen"

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Verderbniserreger in Lebensmitteln stellen ein Hygienerisiko für den Verbraucher dar und verursachen beträchtliche Schäden in der Industrie. Produkte müssen nicht selten in großem Maßstab vernichtet oder vom Markt zurückgerufen werden. Die jährliche Schadenssumme der Lebensmittelindustrie dürfte dabei mehrere hundert Millionen Euro betragen – nicht eingerechnet die kaum bezifferbaren Imageschäden.
Bisher war die Identifizierung von verderbniserregenden Mikroorganismen sehr kostspielig und aufwändig. In mehreren Forschungs- vorhaben sollte daher eine neue Technik entwickelt werden, die folgende Kriterien erfüllt: einfache Anwendung, schnelles und sicheres Ergebnis, hoher Probendurchsatz sowie niedrige Kosten für Verbrauchsmaterial.
Das ist Prof. Siegfried Scherer und Dr. Herbert Seiler vom Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung der Technischen Universität München gelungen, die für diese Arbeiten mit dem Otto-von-Guericke-Preis 2005 der AiF ausgezeichnet wurden. Der Preis würdigt herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF).

Fingerabdrücke von Bakterien


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Der Lösungsansatz des Forscherteams besteht in einer Weiterentwicklung der so genannten FT-IR-makrospektroskopischen Charakterisierung von Mikroben. Das Verfahrensprinzip ist einfach: Von der getrockneten Suspension der Reinkultur eines unbekannten Mikroorganismus wird ein Infrarot-Spektrum aufgenommen, welches einen individuellen Fingerabdruck der Art darstellt. Dieses Spektrum wird mit Spektren bekannter Mikroben verglichen, die in Referenzspektrenbibliotheken abgelegt sind. Die Forscher haben das Verfahren in mehreren IGF-Projekten für lebensmittelbürtige Keime etabliert und für den Einsatz in der Lebensmittelindustrie adaptiert.

Erkennungsdienstliche Erfassung


Labor
Die methodischen Grundlagen legte Projektleiter Seiler am Beispiel der als Verderbniserreger bedeutsamen Hefen. Das neue Verfahren ermöglichte die Identifizierung von Schadhefen in Betrieben mit einer 97-prozentigen Trefferquote – und stellte damit alle vergleichbaren Methoden in den Schatten. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Methode auch für die Stammidentifizierung und damit für eine einfache, betriebsinterne Kontaminationsroutenanalyse geeignet ist. Darauf aufbauend wurde die Methode auf weitere Keimgruppen ausgedehnt. Dabei stand zunächst die Flora oberflächengereifter Käse im Mittelpunkt. Es folgte eine Vielzahl weiterer Referenzspektren produktschädlicher Mikroorganismen, so dass mittlerweile Datenbanken mit etlichen tausend Spektren vorliegen, die als zuverlässige Vergleichsbibliotheken für die Analyse dienen.

Identifizierung im Turbobetrieb


Labor
Eine weitere Optimierung des Verfahrens, insbesondere in Bezug auf die Geschwindigkeit, basiert auf einem Vorschlag von Prof. Dieter Naumann vom Robert-Koch-Institut in Berlin. Bei dieser Variante erfolgt die Analyse Mikrobenkolonien ohne vorherige Gewinnung von Reinkulturen, also unmittelbar von der Produkt- oder Umweltprobe. Dadurch können vorhandene Mikroorganismen innerhalb von nur 24 Stunden identifiziert werden, wenn sie in dieser Zeitspanne auf einem Medium Mikrokolonien bilden. Die Münchner Wissenschaftler haben diese innovative Technik für die Populationsanalyse von industriellen Starterkulturen verwendet und konnten an nur einem Tag 200 Mikrokolonien mit äußerst geringfügigen Verbrauchskosten identifizieren. Diese Kombination von hoher Identifizierungsgeschwindigkeit und niedrigen Kosten war bis dahin durch keine andere Methode am Markt möglich und stellt einen entscheidenden Schritt in der Routine-Identifizierung von Mikroben dar.

Lernen vom Gehirn


Um das Verfahren direkt in Lebensmittel verarbeitenden Betrieben einfach und sicher einsetzen zu können, äußerten Industrievertreter in den Projektbegleitenden Ausschüssen immer wieder den Wunsch nach einer weitgehend automatisierten Auswertung der Spektren. Eine solche Möglichkeit wird im Rahmen eines weiteren IGF-Vorhabens untersucht. Ermöglicht werden soll diese Weiterentwicklung durch den Einsatz künstlicher neuronaler Netze, die in anderen Bereichen bereits zur Datenanalyse genutzt werden. Deren Aufbau ist dem Nervensystem von Lebewesen nachempfunden. Durch die Anwendung dieser Technik können die Auswertung vereinfacht und die Identifikationsgüte verbessert werden, weil sehr viel mehr Information als bisher aus den Spektren extrahiert werden kann. Die bisherigen Ergebnisse lassen eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit und Anwendbarkeit der FT-IR-Technologie erwarten. Außerdem zeichnet sich in der Identifizierungsgüte von sehr ähnlichen Arten sogar eine unerwartet deutliche Verbesserung ab.

Technologietransfer


Der Transfer der Ergebnisse in die Industrie erfolgte in zahlreichen Sitzungen der Projektbegleitenden Ausschüsse, in denen Industrievertreter aus verschiedenen Unternehmen kontinuierlich mitarbeiteten. Das Verfahren ist inzwischen in mehreren Laboren lebensmittelverarbeitender Betriebe sowie in zwei mittelständischen und einem staatlichen Untersuchungslabor etabliert, die die Analyse von Verderbniserregern als Dienstleistung anbieten. Gespräche mit weiteren Interessenten aus der Industrie sind geplant und auch das internationale Marktpotenzial ist groß, was nicht zuletzt durch Studienaufenthalte von Gastwissenschaftlern ausländischer Universitäten und Unternehmen an der TU München deutlich wurde. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der neuen FT-IR-Technologie zeichnet sich außerdem in der Qualitätssicherung von Pharmabetrieben ab.
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Projektbeteiligte


Forschungsstelle:


(Stand: September 2005)


... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)

Förderhinweis
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