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IGF eröffnet neue Wege bei der Produktion von Fleischalternativen: Wie Ölpresskuchen vom Nebenprodukt zur wertvollen Proteinquelle avancieren

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Pflanzliche Fleischalternativen sind längst keine Nischenprodukte mehr: Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher greifen zu Veggie-Patties, Hack-Alternativen oder Seitan-Mortadella, weil sie ihren Fleischkonsum reduzieren oder gänzlich darauf verzichten möchten. Wie stark der Markt inzwischen gewachsen ist, verdeutlichen die Marktzahlen, die seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum belegen: Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2024 in Deutschland rund 126.500 Tonnen Fleischersatzprodukte hergestellt – ein Anstieg von 4 % gegenüber dem Vorjahr. Im Fünf-Jahres-Vergleich hat sich die Produktion sogar mehr als verdoppelt. Der Produktionswert ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr um knapp 11 % auf über 647 Millionen Euro gestiegen.
Gesundheit und Nachhaltigkeit als Wachstumstreiber
Treiber dieses Wachstums sind sowohl gesundheitliche Aspekte als auch ökologische Motive. Weniger Fleischverzehr bedeutet geringere CO₂-Emissionen, weniger Flächenverbrauch und eine bessere Klimabilanz. Damit einher geht die Herausforderung, Produkte zu entwickeln, die geschmacklich und in ihrer Textur überzeugen. Besonders gefragt sind Texturate mit fleischähnlichem Biss – sogenannte „texturierte Pflanzenproteine“, die überwiegend aus Soja oder Erbsenprotein hergestellt werden. Doch diese Rohstoffe sind begrenzt verfügbar und oft teuer. Zugleich wächst die Nachfrage nach regionalen und ressourcenschonenderen Alternativen.
Vom Nebenprodukt zum wertvollen Rohstoff
Genau hier setzte ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) an, das an der Technischen Universität Berlin von zwei Wissenschaftlerinnen durchgeführt wurde und 2024 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten standen Ölpresskuchen, die als Nebenprodukte der Speiseölherstellung in großen Mengen in hiesigen Ölmühlen anfallen und bisher überwiegend als Futtermittel genutzt werden. Durch ihre günstige Nährstoffzusammensetzung und hohe Verfügbarkeit bieten sie als nachhaltige Rohstoffe ein enormes, bislang wenig ausgeschöpftes, Potenzial für die Lebensmittelindustrie: Hochwertige Proteine, Ballaststoffe, ungesättigte Fettsäuren sowie sekundäre Pflanzenstoffe ermöglichen nicht nur eine ernährungsphysiologische Aufwertung, sondern auch technofunktionelle Vorteile bei der Verarbeitung – vorausgesetzt, sie lassen sich in stabile, fleischähnliche Strukturen überführen. Bislang fehlte jedoch eine wissenschaftliche Basis, um dieses Potenzial verlässlich einschätzen und industriell nutzen zu können.
Der Weg zur industriellen Nutzung
Um diese Lücke zu schließen, setzte das Forschungsteam auf ein systematisches Vorgehen. Drei Ziele standen im Mittelpunkt:
- eine umfassende Charakterisierung verschiedener Presskuchenarten hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und technofunktionellen Eigenschaften,
- die Untersuchung geeigneter Extrusionsbedingungen, die den besonderen Rohstoffeigenschaften Rechnung tragen sowie
- die Erarbeitung von Empfehlungen für Rezepturen und Prozessparameter, die Herstellern von Fleischersatzprodukten eine praxisnahe Umsetzung ermöglichen.

© TU Berlin | Foto: Luise Lallinger
Trockene texturierte Pflanzenproteine aus 54 % Rapspresskuchen, 77,5 % Kürbiskernpresskuchen (I), 77,5 % Kürbiskernpresskuchen (II), 45 % Sesampresskuchen, 69 % Leinsamenpresskuchen, 45 % Kokosnusspresskuchen (v. l.). Fehlender Anteil zu 100 % jeweils Erbsenproteinisolat.
Hierfür wurden insgesamt 21 unterschiedliche Ölpresskuchen aus Rohstoffen wie Kokosnuss, Kürbis, Leinsaat, Mandel, Raps, Sonnenblume und Weizenkeim herangezogen. Sie wurden zunächst in Hinblick auf Nährstoffgehalte und prozesstechnische Eigenschaften untersucht, bevor sie in modellhaften Extrusionsversuchen eingesetzt wurden. Mit diesem Ansatz sollte eine Wissensbasis geschaffen werden, die Industrieunternehmen – insbesondere kleine und mittlere Betriebe – in die Lage versetzen kann, Ölpresskuchen gezielt für die Entwicklung neuer Fleischalternativen einzusetzen.
Vom Labor zur Technikumsanlage

© TU Berlin | Foto: Luise Lallinger
Rehydratisiertes/eingeweichtes Texturat aus 80 % Sesampresskuchen und 20 % Erbsenproteinisolat. Im Hintergrund: Nasstexturat mit 20 % Sonnenblumenpresskuchen und 80 % Erbsenproteinisolat.
Untersucht wurde, wie sich die Variation einzelner Parameter wie Wassergehalt, Temperatur, Durchsatz oder Schneckenkonfiguration auf die Texturbildung der Produkte auswirkte. Besonderes Augenmerk lag auf der Frage, wie die Komponenten der Presskuchen – insbesondere Fette und Ballaststoffe – die Ausbildung fleischähnlicher Strukturen beeinflussen.

© TU Berlin | Foto: Luise Lallinger
Eingeweichtes und gebratenes Texturat aus 80% Sesampresskuchen und 20% Erbsenproteinisolat.
Eignung verschiedener Ölpresskuchen
Die Untersuchungen zeigten deutlich, dass nicht alle Presskuchen gleichermaßen für die Herstellung texturierter Pflanzenproteine geeignet sind. Während Kürbis-, Mandel- und Sonnenblumenkernpresskuchen aufgrund ihres günstigen Verhältnisses von Protein zu Ballaststoffen vielversprechende Ergebnisse lieferten, erwiesen sich etwa Kokosnuss- oder Weizenkeimpresskuchen als weniger geeignet. Entscheidend war dabei vor allem der Restfettgehalt: Ab einem Anteil von etwa 5 % konnte das Fett nicht mehr in die Struktur eingebunden werden, was zu Instabilitäten im Prozess und schwächeren Texturen führte.
„Die Ergebnisse dieses IGF-Projekts sind für die Praxis äußerst wertvoll: Es konnte gezeigt werden, dass Ölpresskuchen ein erhebliches Potenzial bei der Herstellung von Fleischalternativen besitzen. Besonders bei Burger-Patties wird sich die industrielle Anwendung schnell realisieren lassen – ich gehe davon aus, dass wir sehr bald erste Produkte am Markt sehen werden.”
Dr. Johannes P. Schlebusch, Projektkoordinator des Projektbegleitenden Ausschusses und Innovationsmanager bei Mars GmbH in Verden
Mehr Biss, Farbe und Aroma
Die Ballaststoffe der Presskuchen wirkten sich hingegen positiv auf die Ausbildung fleischähnlicher Strukturen aus. Ein Anteil von rund 20 % trug dazu bei, die Textur der Extrudate zu stabilisieren, allerdings waren diese Produkte noch relativ stark aufgepufft und erinnerten eher an Cerealien. Erst bei höheren Presskuchenanteilen von etwa 45 % und mehr (je nach Art des Presskuchens) wurden die Texturate deutlich dichter und damit fleischähnlicher in Biss und Mundgefühl. Dennoch blieben die Produkte insgesamt etwas weicher und weniger „gummiartig“ als Fleisch, was den Kauwiderstand verringerte und für bestimmte Produktkategorien sogar von Vorteil sein kann.

© TU Berlin | Graphik: Luise Lallinger
TVP aus Erbsenproteinisolat extrudiert mit verschiedenen Wassergehalten (14, 22, 30 %) und Gehäusetemperaturen (130, 145, 160° C). Die TVP sind jeweils in Petrischalen mit 10 cm Durchmesser abfotografiert.
Neben der Textur wurden auch Farbe und Aroma betrachtet. Burger-Patties auf Basis von Mandel-, Kürbis-, Raps- oder Sonnenblumenkernpresskuchen zeigten eine gute farbliche Übereinstimmung mit Fleischprodukten. Während der Extrusion konnten zudem Röstaromen gebildet werden, die den sensorischen Eindruck verbesserten. Unerwünschte Nebenprodukte wie Acrylamid oder Transfette entstanden nur unter ungünstigen Bedingungen, etwa bei sehr niedrigen Wassergehalten und gleichzeitig hohem Gehalt an Linolensäure (z. B. bei Leinsaatpresskuchen). Durch die Wahl geeigneter Prozessparameter ließ sich dieses Risiko minimieren.
Empfehlungen für die Praxis
Auf Basis der Ergebnisse wurde abgeleitet, dass eine kontinuierliche Proteinmatrix entsteht, wenn mindestens 50 % der Mischung aus Proteinen besteht. Der übrige Anteil kann durch Presskuchen ersetzt werden. Damit eröffnet sich für Hersteller von Fleischersatzprodukten die Möglichkeit, einen erheblichen Teil der bislang eingesetzten Proteinisolate durch kostengünstigere und nachhaltigere Presskuchen zu substituieren. Besonders in Burger-Patties konnten vielversprechende Resultate erzielt werden, sodass sich hier ein schneller Weg zur industriellen Umsetzung abzeichnet.
Das hat mehrere Vorteile: Zum einen wird ein bislang überwiegend im Futtermittelsektor eingesetzter Rohstoff sinnvoll in die Lebensmittelproduktion überführt. Zum anderen tragen die Ballaststoffe, ungesättigten Fettsäuren und sekundären Pflanzenstoffe zur ernährungsphysiologischen Aufwertung der Produkte bei. Zudem können Hersteller ihre Rohstoffbasis verbreitern, Abhängigkeiten von importiertem Soja reduzieren und sich durch innovative Rezepturen im dynamisch wachsenden Markt differenzieren.
„Bei uns fallen bei der traditionellen Herstellung hochwertiger, kaltgepresster Öle – zum Beispiel Leinöl, Kürbiskern- oder Schwarzkümmelöl – regelmäßig Ölpresskuchen als Nebenprodukt an. Das IGF-Projekt zeigt eindrucksvoll, dass daraus wertvolle Zutaten für Fleischalternativen entstehen können. Für uns als regionale Ölmühle eröffnet das spannende neue Perspektiven.”
Christian Behrendt, Geschäftsführer der Kanow-Mühle Sagritz in Golßen
Großen Chancen und höhere Wertschöpfung für KMU
Besonders für kleine und mittelständische Hersteller von Fleischersatzprodukten bietet die Nutzung von Presskuchen ein hohes Potenzial. Sie können sich mit neuen Produkten im Markt positionieren und durch regionale Rohstoffe ein klar erkennbares Nachhaltigkeitsprofil aufbauen. Zugleich eröffnen sich Möglichkeiten zur Kostenreduktion, da Presskuchen als Nebenprodukt der Ölherstellung im Vergleich zu isolierten Pflanzenproteinen kostengünstiger verfügbar sind.
Auch die Ölmühlen profitieren: Für sie bietet sich die Möglichkeit, ihre Presskuchen nicht nur als Futtermittel, sondern auch im Lebensmittelbereich zu vermarkten und damit eine deutliche Wertsteigerung zu erzielen. Während kleine Ölmühlen lokal anfallende Rohstoffe wie Kürbiskerne oder Leinsaat nutzbar machen können, stehen in industriellem Maßstab etwa Sonnenblumenpresskuchen in großen Mengen zur Verfügung – Mit allen diesen Rohstoffen konnten texturierte Pflanzenproteine mit vergleichbaren Eigenschaften wie bei herkömmlichen Fleischersatzprodukten erzeugt werden. So leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft: Ein Reststoff wird zum hochwertigen Rohstoff, wodurch Lebensmittelabfälle reduziert und natürliche Ressourcen geschont werden. Damit eröffnet die Forschung zugleich neue Marktchancen im dynamisch wachsenden Segment der Fleischalternativen.
(Stand: Dezember 2025)
Projektbeteiligte
Forschungseinrichtung:Technische Universität Berlin, Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie, FG Lebensmittelbiotechnologie und -prozesstechnik:
Prof. Dr. Cornelia Rauh und Luise Lallinger
Industriegruppen:
- Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovationen e. V. (GFPi), Bonn
- Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e. V. (UFOP), Berlin Forschungsvorhaben:
IGF-Projekt IGF 21340 N "Bewertung des technofunktionellen Potentials von Ölpresskuchen in texturierten Pflanzenproteinen (TVP)"
... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)

