Wegweisend für die Wirtschaft: Forscher entwickeln "Meilensteine für die Praxis" zur Identifizierung und Reduzierung von biogenen Aminen in Wein

Weingläser
Biogene Amine kommen als natürliche Bestandteile in verschiedenen Lebensmitteln vor. Der Hauptbildungsweg verläuft über die Decarboxylierung von Aminosäuren: Histamin, der bekannteste "Vertreter", wird beispielsweise aus der Aminosäure Histidin gebildet. Da diese Reaktion vorwiegend von Mikroorganismen durchgeführt wird, werden die Amine als biogen bezeichnet. So sind biogene Amine vor allem in fermentierten Lebensmitteln wie Bier, Käse, Wurst oder Wein enthalten. Biogene Amine haben meist direkte oder indirekte physiologische Wirkungen auf den Menschen; sie wirken u.a. als Pseudohormone oder Neurotransmitter und sind an zahlreichen Regulationsvorgängen im menschlichen Körper beteiligt. Eine zu hohe Aufnahme von biogenen Aminen kann jedoch bei entsprechender Sensibilität unerwünschte gesundheitliche Symptome wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden oder akute Reaktionen des Immunsystems verursachen. Im Vergleich zu anderen Lebensmitteln liegen im Wein nur geringe Gehalte biogener Amine vor. Doch ihre Wirkung wird überproportional verstärkt, da der Abbau der biogenen Amine durch die gleichzeitige Aufnahme von Alkohol sehr verlangsamt wird und diese so länger im Körper wirken können. Daher werden Grenzwerte für biogene Amine in Weinen seit einiger Zeit auf EU-Ebene diskutiert; bis dato orientiert sich die Weinbranche an dem 2010 aufgehobenen Schweizer Grenzwert von 10 mg/L Histamin in Wein. Auch auf die sensorische Weinqualität wirken sich biogene Amine bzw. die aminbildenden Bakterien negativ aus: So wurden die betroffenen Weine als dumpf beschrieben, auch eine Maskierung des Sortenaromas fiel auf.
  • Zeit zu handeln


    Um Verbraucher zu schützen sowie der Weinbranche verlässliche – und bei Einführung von Grenzwerten wirtschaftlich dringend notwendige – Maßnahmen zur Identifizierung und Reduzierung von biogenen Aminen in Wein bereitzustellen, wurde über den FEI 2008 ein Vorhaben der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) initiiert, das ein Forschungsteam des DLR Rheinpfalz in Neustadt/Weinstraße und der Universität Mainz durchführte. Die im Rahmen des Projekts erarbeiteten Ergebnisse geben der Weinwirtschaft zahlreiche Lösungsansätze an die Hand, ihre Vinifikationsprozesse zu optimieren und somit Weine zu erzeugen, deren bakteriell induzierte Fehlaromen sowie deren Gehalte an biogenen Aminen minimiert sind.
    Zitat Dörr

    Um einen Überblick über das Vorkommen und die Gehalte an biogenen Aminen in deutschen Weinen zu erhalten, wurde zunächst ein Screening durchgeführt, für das 57 Rot- und Weißweine verschiedener Rebsorten über zwei Jahrgänge ausgewählt wurden. Die Rotweine wiesen allgemein höhere Amingehalte als die Weißweine auf. Die biogenen Amine Ethanolamin, Ethylamin, Isopentylamin und Putrescin wurden in allen Proben nachgewiesen, Phenylethylamin in 95 %, Tyramin in 89 % und Histamin in 77 % der Weine.
  • Ursachenforschung


    Edelstahltanks in der Weinverabeitung
    Bei den weiteren Untersuchungen gelang es, zahlreiche Ursachen für die Bildung biogener Amine und bakterieller Fehlaromen aufzuklären und daraus präventive und kurative Maßnahmen abzuleiten. So konnte nachgewiesen werden, dass erhöhte pH-Werte förderlich für die Bildung biogener Amine sind, da generell hohe pH-Werte die Vermehrung von Bakterien begünstigen. Während früher die Schwelle von pH 3,4, ab der die Vermehrung der Schadbakterien Lactobacillus und Pediococcus erst möglich ist, nur selten erreicht wurde, gibt es heute aufgrund des Klimawandels und der damit einhergehenden Reifeverfrühung der Trauben kaum noch Rotweine mit niedrigeren pH-Werten und auch Weißweine liegen oft darüber. Laktobazillen und Pediokokken sind die Hauptproduzenten der biogenen Amine, sie bilden aber auch flüchtige Säure, medizinisch riechende flüchtige Phenole, die für das Mäuseln verantwortlichen Pyridin/Pyrrolin-Derivate und die Viskosität erhöhende Polysaccharide. Auffällig war die Tatsache, dass bei mittleren pH-Werten von 3,4 die Bildung dieser unerwünschten Stoffe häufiger zu beobachten war.
    Für die Weinwirtschaft ergeben sich aus den erarbeiteten Ergebnissen konkrete Maßnahmen, wie z.B. der Einsatz von Starterkulturen mit zeitnaher Schwefelung, die Flashpasteurisierung oder die Entfernung biogener Amine mittels Bentonit oder Hefezellwänden.
  • Präventive Maßnahmen


    Die Hitzeeinwirkung durch die Maischeerhitzung oder durch die Flashpasteurisierung wirkte so stark vorbeugend, dass die Bildung biogener Amine fast ausgeschlossen werden konnte. Das zur Kontrolle des biologischen Säureabbaus eingesetzte Lysozym wirkte nur mit einer zeitnahen Schwefelung der Bildung von biogenen Aminen entgegen – dies unterstrich die Notwendigkeit zur Isolierung lytischer Enzyme als Lysozym-Alternative, wie im weiteren Verlauf der Forschungsarbeiten geschehen. Die präventiven Verfahren wurden in ihrer sensorischen Auswirkung auf die Weinqualität überprüft und zeigten sich als geeignete Strategien, um während der Weinbereitung die mikrobiologische Prozesssicherheit zu erhöhen. Die preisgünstigste Vorbeugung – die Absenkung des pH-Wertes durch Zugabe von Weinsäure, wie sie in den heißen Klimazonen der EU und in allen außereuropäischen Erzeugerländern erlaubt ist – ist der deutschen Weinwirtschaft gesetzlich verboten.
  • …und kurative Maßnahmen für die Praxis


    Bei der direkten Abreicherung bereits gebildeter biogener Amine erwies sich das nur in Mischpräparaten zulässige Natrium-Bentonit als das leistungsfähigste Mittel, insbesondere die hohe Abreicherung des physiologisch bedeutsamsten biogenen Amins, des Histamins, ist hervorzuheben. Eine Hefeschönung mit sauberer Hefe und der Einsatz eines Hefeautolysats erwiesen sich ebenfalls als hilfreich bei der Abreicherung von biogenen Aminen.
    Zitat Fröhlich

    Die umfangreiche sensorische Bewertung der Versuchs- und Praxisweine gibt einen breiten Überblick, welcher Prozessschritt welche Auswirkungen auf das Endprodukt hat. Somit ist es weinproduzierenden Unternehmen möglich, anhand des gewünschten Zielprofils die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Für jeden angestrebten Weinstil steht eine Auswahl präventiver und kurativer Strategien zur Verfügung. Mit einer Zulassung des Einsatzes von reinem Natrium-Bentonit und des neuen lytischen Enzympräparats würde sich das Spektrum der Möglichkeiten nochmals deutlich und sinnvoll erweitern.
  • Molekularbiologie macht´s möglich


    FISH einer Mischkultur von P. pentosaceus und LB. buchneri mit der Sonde Pedio23S5 (Pfannebecker, 2008)
    Um biogene Amine bildende Milchsäurebakterien zeitnah und simultan in Most und Wein zu identifizieren, wurde ein Multiplex-PCR1-System entwickelt. Dies kann zum schnellen Nachweis von Pediokokken, Laktobazillen und Oenococcus oeni herangezogen werden. Um eine Quantifizierung biogener Aminbildner im Most und Wein zu ermöglichen, stehen spezifische FISH2-Sonden (siehe Abb.) für einige dieser Schadbakterien bzw. direkte PCR-Methoden mit spezifischen Primern für alle Bildner von biogenen Aminen zur Verfügung. Zudem konnten neue lytische Enzyme gereinigt werden, die als Alternative zu Lysozym weiterentwickelt werden, da sie sowohl ein größeres Wirkungsspektrum als auch einen höheren Wirkungsgrad aufweisen.
    1 Polymerase Chain Reaction
    2 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
  • Ergebnisse branchenübergreifend von Interesse


    Die Eignung der thermischen Verfahren zur Steigerung der biologischen Sicherheit kann insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen der Branche helfen, qualitätserhaltend und damit wettbewerbsfähig zu produzieren. Der Einsatz dieser Verfahren macht den technologischen Prozess deutlich besser kontrollierbar und das Endprodukt damit beherrschbarer.
    Die richtige Balance zwischen präventiven und kurativen Strategien, die in diesem Projekt erarbeitet wurden, bietet den Unternehmen die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt der Weinbereitung regulierend einzugreifen. In Verbindung mit den mikrobiologischen Identifizierungsmethoden kann dadurch die Produktsicherheit und -qualität verbessert werden.
    Die entwickelten neuen molekularbiologischen Nachweismethoden bieten sowohl den beratenden Weinlaboratorien als auch den Dienstleistungszentren eine deutliche Erweiterung ihres analytischen Spektrums im Bereich der mikrobiologischen Qualitätskontrolle. Die innovativen Verfahren haben inzwischen auch Eingang in die Ausbildung gefunden.
  • Projektbeteiligte





Forschungsvorhaben AiF 15833 N "Zeitnahe Identifizierung von biogene Amine und Fehlaromen bildenden Bakterien während der Weinbereitung und Prävention ihrer Vermehrung"

... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)

Förderhinweis